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Psychologische Sicherheit in Teams




Nicht das Problem macht die Schwierigkeiten, sondern unsere Sichtweise.“

Viktor Frankl

 1.    Was versteht man unter psychologsicher Sicherheit?

Psychologische Sicherheit ist ein Konstrukt, das bereits 1965 von Edgar H. Schein (Schein & Bennis, 1965) beschrieben und 1999 von Amy Edmondson mit Teamlernen in Zusammenhang gebracht wurde. Dabei handelt es sich um eine geteilte Annahme, die Teams ein sicheres Umfeld bietet, um zwischenmenschliche Risiken einzugehen, und zeigt, dass dies die wichtigste Voraussetzung für Lernen und Innovation im Team ist (Edmondson, 1999). In einer Metaanalyse konnte die Bedeutung der psychologischen Sicherheit sowohl für Individuen als auch für Gruppen bestätigt werden (Frazier et al., 2017).

2.    Warum ist psychologsicher Sicherheit in Organisationen von Bedeutung?

Das Wesen der psychologischen Sicherheit besteht darin, dass wir uns eine notwendige Veränderung vorstellen können, ohne dass wir dabei unsere Integrität oder Identität verlieren. Wenn die Veränderung, die ich vornehmen muss, mein ganzes Selbst bedroht, werde ich die Tatsache und die Notwendigkeit der Veränderung leugnen. Nur wenn ich spüren kann, dass ich meine Identität, meine Integrität und meine Zugehörigkeit zu den Gruppen, die mir wichtig sind, bewahren kann, während ich etwas Neues lerne oder mich verändere, werde ich in der Lage sein, dies überhaupt in Betracht zu ziehen (Schein, 2004, S. 323).

Zudem gewinnt psychologische Sicherheit an Bedeutung, je mehr sich die Aufgaben und Rahmenbedingungen eines Teams verändern und je wichtiger die Fähigkeit zur Weiterentwicklung wird. Die Relevanz der psychologischen Sicherheit für den Teamerfolg wurde in einer internen Studie bei Google mit über 180 Teams untersucht. Es wurde erforscht, welche Prädiktoren für den Teamerfolg identifiziert werden können. Dazu wurden Messdaten erhoben und Interviews durchgeführt. (Duhigg, 2016).

Konkret wurden 5 Schlüsselfaktoren identifiziert, deren Wirksamkeit durch die gesammelten Daten schlüssig nachvollzogen werden konnte:

“1. Psychological safety: Can we take risks on this team without feeling insecure or embarrassed?

2. Dependability: Can we count on each other to do high quality work on time?

3. Structure & clarity: Are goals, roles, and execution plans on our team clear?

4. Meaning of work: Are we working on something that is personally important for each of us?

5. Impact of work: Do we fundamentally believe that the work we’re doing matters?“

 Julia Rozovsky, eine der Projektleiterinnen, betont, dass die psychologische Sicherheit bei weitem der wichtigste Faktor in der Liste ist, da sie die Grundlage für die anderen 4 Faktoren bildet (Queckbörner, 2024).

Doch warum ist das so? Transparenz ist die Grundlage für Zusammenarbeit und Entscheidungen, kann aber auch Ängste hervorrufen. Was ist, wenn ich Fehler mache, die von allen gesehen werden? Welche Stellung habe ich im Team, wenn mir nicht alles sofort gelingt? Welche Konsequenzen hat es, wenn ich meinen Kolleginnen und Kollegen offenes und ehrliches Feedback gebe? Psychologische Sicherheit ist daher ein wichtiges Prinzip für ein empowertes Team. Psychologische Sicherheit schafft Vertrauen und ermöglicht es den Teams, in Zeiten des Wandels mutige Entscheidungen zu treffen. Das heißt, Ideen, Fragen, Bedenken oder Fehler können offen ausgesprochen werden, ohne negative Konsequenzen zu fürchten. Sie ist die Grundlage für Wachstum, Veränderung und Weiterentwicklung der Teammitglieder. Psychologische Sicherheit entsteht vor allem durch offenen Dialog und Vorbildfunktion: Wenn der erste über Erfolge und Misserfolge spricht, haben andere im Team das Vertrauen, es ihm gleichzutun (Bachmair et al., 2022, S. 41 f.).

Auch im Rahmen agiler Teams ist eine hohe psychologische Sicherheit von großer Bedeutung. Einerseits wird Zeit und Energie für Abwehrmanöver gespart, andererseits steht eine breitere Informationsbasis zur Verfügung, um diese für bessere Lösungen zu nutzen (Zirkler & Werkmann-Karcher, 2020, S. 42).

Ein wesentlicher Punkt dabei ist, dass Agilität in Teams durch konsequente Nutzerorientierung, erhöhte Selbstorganisation und kürzere Zeitzyklen, in denen die Arbeit organisiert wird, gekennzeichnet ist. Charakteristisch ist auch eine erhöhte Transparenz der Arbeit und eine stärkere Reflexivität. Vor diesem Hintergrund wird psychologische Sicherheit im Team als erstrebenswerte Zielgröße angesehen. Auf organisationaler Ebene ist die Etablierung einer Vertrauens- und Lernkultur von Bedeutung. Agilitätsfördernde Strukturen sind flach, wenig standardisiert in den Prozessen und dezentral in der Entscheidungsfindung. Ihre Anreize sind auf Teams oder größere Einheiten ausgerichtet ((Zirkler & Werkmann-Karcher, 2020, S. 50).

Die Auswirkungen der psychologischen Sicherheit auf die Teamleistung werden von Goller & Laufer wie folgt zusammengefasst:

·       Kontinuierliches Lernen

·       Erfolgreiche Prozessveränderungen

·       Mitarbeiterengagement

·       Förderung von Innovation (Goller & Laufer, 2018, S. 14)

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Zusammenhang zwischen psychologischer Sicherheit und mentaler Gesundheit (soziales, eudämonistisches und hedonistisches Wohlbefinden bzw. allgemeine Lebenszufriedenheit). Beide Konstrukte haben zahlreiche positive Auswirkungen sowohl auf den Arbeitskontext als auch auf den privaten Bereich. In einer empirischen Studie konnte Karpinski (2024) nachweisen, dass mentale Gesundheit am Arbeitsplatz durch psychologische Sicherheit aktiv gefördert werden kann (Karpinski, 2024, S. 120–123).

3.    Wie entsteht ein psychologisch sicheres Klima?

Aber wie kann man in einem Team oder einer Organisation ein Klima schaffen, in dem sich der Einzelne sicher fühlt, seine Gedanken, Ideen und Bedenken offen zu äußern, ohne Angst vor negativen Konsequenzen, wie z. B. Sanktionen, zu haben?

Zahlreiche (Meta-)Studien liefern Belege dafür, dass bestimmte Arbeitsbedingungen und unterstützende Beziehungen zum Team und zur Führungskraft mit psychologischer Sicherheit zusammenhängen (Schlenker, 2023).

Abgeleitet aus den Ergebnissen der Metastudien können nachfolgende Empfehlungen aus Sicht von Schlenker (2023). abgeleitet werden:

Arbeitsbedingungen:

·       Vermitteln Sie ein klares Rollenverständnis, sodass Mitarbeiter wissen, was sie zu tun haben und was von ihnen erwartet wird.

·       Damit sich die Mitarbeiter bei der Erledigung ihrer Aufgaben aufeinander verlassen können, sollten Sie gegenseitige Abhängigkeit innerhalb von Aufgaben schaffen.

Team:

·       Trainieren Sie Ihre Mitarbeiter zu Teamarbeit und einer effektiven Beziehungsentwicklung.

·       Sorgen Sie für einen Wissensaustausch zwischen Ihren Mitarbeitern, z.B. durch funktionsübergreifende Meetings.

·       Um ein besseres Verständnis von gemeinsamen Zielen zu fördern, sollten Sie die Beteiligten und Ihre Mitarbeiter am Arbeitsplatz unterstützen.

Führungskraft:

·       Führungskräfte sollten in Richtung einer transformationaler Führung weiterentwickelt werden. Dabei sollten sie ihre Erwartungshaltungen und Ziele klar kommunizieren und offen gegenüber Anmerkungen der Mitarbeitenden sein.

·       Führungskräfte können durch das Einholen von Feedback, die Bereitstellung von Möglichkeiten für Input und aktives Zuhören zeigen, dass die Meinung ihrer Mitarbeiter von ihnen respektiert wird. Dies trägt dazu bei, einen Modus der aktiven Beteiligung zu etablieren.

·       Gut gemeinte Fehler, gescheiterte Experimente, geäußerte Ideen oder das Infragestellen des Status Quo sollten von Führungskräften nicht bestraft, sondern wertgeschätzt werden.

·       Führungskräfte sollen als Vorbild anderen mit Respekt begegnen und eigene Fehler und Irrtümer als Lernmöglichkeit anerkennen, z.B. durch offenes Sprechen über eigene Fehler oder die Einführung von „Fehlern/Ideen des Monats“ im Team.

·       Das Instrument eines 360°-Feedback kann helfen die Verhaltenswiesen im Unternehmen zu messen, zu entwickeln und zu belohnen. Daraus ist es möglich eine entsprechendes Entwicklungsprogramm im Unternehmen aufzusetzen.

  

Abb. 1: Der Umgang mit Fehlern

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Work Chronicles ©workchronicles.com

 

Sie möchten in Ihrem Team psychologische Sicherheit schaffen? Gerne unterstütze ich Sie dabei. Zunächst wird mit Hilfe eines anonymisierten Fragebogens der Ist-Zustand in Bezug auf psychologische Sicherheit ermittelt und auf Basis der Ergebnisse passgenaue Maßnahmen definiert. Gemeinsam mit Ihrem Team werden wir die festgelegten Maßnahmen umsetzen.

Kontaktieren Sie mich einfach unter: coaching@juergen-stolze.de

 

Glossar

Konstrukt: Unter einem psychologischen Konstrukt versteht man in der Psychologie eine komplexe Idee oder ein theoretisches Konzept, das verwendet wird, um ein Phänomen zu beschreiben, das nicht direkt beobachtet werden kann. Beispiele für psychologische Konstrukte: Intelligenz, Persönlichkeit, Motivation

Metastudie: Zusammenfassung der Ergebnisse von verschiedenen Einzelstudien, zur Erhöhung der Aussagekraft.

Transformationale Führung: Ein Führungsstil, bei dem die Führungskraft als Vorbild seine Mitarbeiter motiviert, inspiriert, ihnen vertraut, zum eigenständigen Denken anregt und auf deren Bedürfnisse und Besonderheiten eingeht.

 

Literaturverzeichnis

Bachmair, D., Metz, S., & Zacher, D. (2022). Empowerment für Teams: Agil und selbstorganisiert – wie Teams noch erfolgreicher werden (1. Auflage). Schäffer-Poeschel. https://doi.org/10.34156/9783791053820

Duhigg, C. (2016). What Google Learned from its quest to build the perfekt Team. The New York Times Magazine. https://www.nytimes.com/2016/02/28/magazine/what-google-learned-from-its-quest-to-build-the-perfect-team.html

Edmondson, A. (1999). Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams. Administrative Science Quarterly44(2), 350–383. https://doi.org/10.2307/2666999

Frazier, M. L., Fainshmidt, S., Klinger, R. L., Pezeshkan, A., & Vracheva, V. (2017). Psychological Safety: A MetaAnalytic Review and Extension. Personnel Psychology70(1), 113–165. https://doi.org/10.1111/peps.12183

Goller, I., & Laufer, T. (2018). Psychologische Sicherheit in Unternehmen. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21338-1

Karpinski, K. (2024). Psychologische Sicherheit und Mentale Gesundheit: Eine quantitative Untersuchung bei Erwerbstätigen aus dem deutschsprachigen Raum. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-46261-1

Queckbörner, B. (2024). Psychologische Sicherheit und ihre Bedeutung für eine gesunde Fehlerkultur. Bibliothek Forschung Und Praxis48(1), 68–79. https://doi.org/10.1515/bfp-2023-0069

Schein, E. H. (2004). Organizational culture and leadership (3. ed). Jossey-Bass.

Schein, E. H., & Bennis, W. G. (1965). Personal and Organizational Change through Group Methods. The Laboratory Approach. John Wiley & Sons.

Schlenker, I. T. (2023). Make it safe – Wie Sie eine psychologisch sichere Arbeitsumgebung fördern. In F. C. Brodbeck (Hrsg.), Evidenzbasierte Wirtschaftspsychologie, (43). Ludwig-Maximilians-Universität München. http://www.evi-denzbasiertesmanagement.de.

Zirkler, M., & Werkmann-Karcher, B. (2020). Psychologie der Agilität: Lernwege für Individuen und Teams. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30357-0

 

Gender-Erklärung

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in dieser Arbeit die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform beinhaltet keine Wertung.

 

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